Der kleine Mann wird geopfert

Mit seinem Wirtschaftsprogramm macht FPÖ-Kickl schon einmal den Kotau vor der ÖVP. Das ist wenigstens ehrlich.

Bisher war es ja so, dass die FPÖ sich vor Wahlen zur „sozialen Heimatpartei“ stilisieren wollte, um nach den Wahlen dann die reichen Freunderln und Gönner zu hofieren und den kleinen Mann bluten zu lassen. Arzneigebühren, Selbstbehalte beim Arzt, den Zwölf-Stundentag, die Krankenkassenreform, derentwegen man heutzutage kaum mehr einen Arzttermin bekommt, Steuergeschenke für Konzerne: All das und viel mehr haben wir FPÖ-Allianzen mit der Volkspartei zu verdanken. Aber diesmal ist etwas anders. Diesmal versucht sich die FPÖ gar nicht mehr als soziale Partei zu positionieren, sie sagt schon vorher, dass sie den neoliberalen Wahnsinn, der seit Jahrzehnten die Reichen reicher und die Armen ärmer macht, noch radikalisieren will. Sie verstellt sich nicht einmal mehr, sie verkleidet sich nicht mehr.

Geschenkt, dass Herbert Kickl sagt, er wolle „keine neuen Steuern“, was heißt, dass es mit der FPÖ weder Vermögenssteuern und Erbschaftssteuern für Multimillionäre und Milliardäre geben wird, sondern das Groß der Steuern und Abgaben weiter von den einfachen Leuten abkassiert werden, während andere fast ein Freispiel haben. Der kleine Mann wird geopfert weiterlesen

Die Freude in der Politik

Kamala Harris brachte Humor und Optimismus in die US-Politik zurück. Wir könnten davon auch etwas brauchen.

„Danke Dir, dass Du die Freude zurück gebracht hast“ – diesen bemerkenswerten Satz sage der US-Vizepräsidentschaftskandidat Tim Walz über seine Chefin, die Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris. Das ist nicht nur so ein dahingesagter Satz. Mit einem Mal sind plötzlich wieder Humor, Hoffnung, Optimismus in der US-Politik zurück, aber auch Vernünftigkeit und eine Prise Selbstironie.

Als wäre ein Nebel aus schlechter Laune weggeblasen.

Bemerkenswert: Sofort schossen Harris und Walz, die Gegenspieler und Herausforderer von Donald Trump in den Umfragen in die Höhe. Der neue Spirit wirkt. Er ist ansteckend. Lag Trump gegen Joe Biden in den nationalen Umfragen knapp voran, führen nun Harris und Walz mit 53:47 Prozent. Klar, entschieden ist noch lange nichts. Die Freude in der Politik weiterlesen

Die Zeit der Narren

Die US-Demokraten lachen Donald Trump als „weird“ aus, als seltsamen Gestörten. Womöglich sollte man das mit Comical Herbert auch machen.

Zackzack, August 2024

Neuerdings warnen die amerikanischen Demokraten nicht mehr nur vor einer Präsidentschaft Donald Trumps – sie lachen ihn vielmehr aus. Trump sei „weird“, was soviel heißt wie „seltsam“, „eigenartig“, mit Beiklängen von „komisch“, „schrullig“ und „ein bisschen gestört“. Eingeführt hat diese Etikettierung Tim Walz, der Gouverneur von Minnesota und nunmehrige Vize-Präsidentschaftskandidat. Jetzt trommeln es die Demokraten und die Kamala-Harris-Kampagne rauf und runter. Weil es wirkt, weil es das Offensichtliche anspricht, weil es die schwächste Stelle von Trump und seinen Leuten trifft. Und weil ein autoritärer Egoman wie Donald Trump es so liebt, gefürchtet zu werden; weil er es genießt, wenn seine Provokationen die Gegner erregen und den Nachrichten-Zyklus beherrschen – und weil er im Gegenzug nichts mehr hasst, als wenn ihn alle Welt als schrulligen Mr. Komisch verlacht. Er ist dagegen hilflos: Sobald du nämlich wie ein Rumpelstilzchen schreist: „Ich bin nicht weird“, bist du erst recht weird.

Seltsamer geht nicht als ein Mann mit orangenen Haaren der wütend rumhüpft und schreit: „Ich bin nicht seltsam!“ Die Zeit der Narren weiterlesen

Urlaub in der Leistungsgesellschaft

Erbringen Sie in diesem Sommer ausreichend „Erholungsleistung“, wie das von die herrschende Ideologie von Ihnen fordert?

Zackzack, August, 2024

Dass sich „Leistung wieder lohnen“ müsse, gehört ja zu den fixen Schwadroneurs-Stehsätzen konservativer Politiker. Damit wird den normalen Leuten eine rhetorische Karotte hingehalten, denn in Wirklichkeit ist das Gegenteil gemeint: die Superreichen sollen ihre leistungslosen Einkommen aus Finanzvermögen, die sich wie von selbst vermehren, ungestört genießen können. Steuern oder Beiträge zum Gesundheits- und Rentensystem, pah, das ist doch nur etwas für den Pöbel. Während unsereins schnell auf reale Steuer- und Abgabensätze von bis zu 50 Prozent kommt, führen die „Spitzen der Gesellschaft“ wohl selten mehr als 20 Prozent ab.

Wer „Leistung muss sich wieder lohnen“ sagt, will, dass die Geldsäcke aus ihrer Bussi-Bussi-Gesellschaft weiter ein Freispiel haben. So einfach ist das meistens.

Denn wenn die Herren Nehammer und Co. wirklich etwas dafür tun wollten, dass sich „Leistung wieder lohnt“, dann könnten sie das leicht: Vermögenssteuern, Erbschaftssteuern usw. einführen, und im gleichen Verhältnis die Einkommenssteuern senken. Dann haben die, die etwas leisten, nämlich ein bisschen mehr und die, die auf Kosten der Welt leben, ein bisschen weniger. Aber das werden wir von ihnen nicht hören, da sind ihre Großspender dagegen. Urlaub in der Leistungsgesellschaft weiterlesen

Mit den Augen der Anderen sehen

Onur Erdurs großartige Studie über die (post-)kolonialen Wurzeln der französischen Nachkriegstheorie.

Falter, Juli 2024

Im Debatten-Getöse über „Wokeness“ oder „Postkolonialismus“ wird gerne genörgelt, amerikanische Simplifizierungen würden zu uns herüber schwappen. In den USA wiederum ist häufig zu hören, der radikale Manichäismus sei Folge des „postmodernen“ französischen Denkens, quasi eine Pariser Krankheit.

Blöde versimpelt ist beides. Doch in diesen aktuellen Kontext hinein liest sich Onur Erdurs brillante und elegante Studie „Schule des Südens“ mit noch mehr Gewinn. Der Berliner Kulturwissenschaftler legt eine wenig beachtete Geschichte frei – nämlich die Bedeutung der kolonialen Erfahrung für die legendären Begründer des französischen Nachkriegsdenkens, von Bourdieu, Barthes, Lyotard, Foucault, Balibar und vielen anderen. Mit den Augen der Anderen sehen weiterlesen

Der unintegrierbare Wilde

Wir denken, wir seien modern. Dabei trieft unser Common Sense nur so von kolonialistischen Klischees.

Heute kann man sich kaum eine politische Debatte oder einen Feuilletonartikel vorstellen, ohne dass das Wort „Diskurs“ fällt. Meist wird damit beschrieben, was gerade so geredet oder debattiert wird. Diskurs ist aber nicht einfach Gelaber und auch nicht gepflegtes Hin- und Herdiskutieren. Wenn wir von „unseren Diskursen“ sprechen, dann sollte es um den herrschenden Common-Sense gehen, um das, was gesagt werden kann und was nicht; darum, wer als Sprecher zugelassen ist, wem etwa „Sachverstand“ und „Objektivität“ zugebilligt wird. Geprägt werden die Diskurse auch durch tiefsitzende Grundannahmen, Vorannahmen, Vorurteile. Und durch fabrizierte, obsessive Themensetzung. Diskurs, so formulierte das Michel Foucault, der den Siegeszug dieser Vokabel erst einläutete, ist nicht nur das, was gesagt wird, sondern auch das, was nicht gesagt oder absichtlich verschwiegen wird, die Ordnung der Diskurse ist ohne Machteffekte nicht zu denken.

Gegenwärtig haben wir eine ganze Reihe an Diskursen über Krieg, Gewalt, Migration, „Ausländerkriminalität“, die unser gesellschaftliches Klima verpesten und in denen sich Tatsachensubstrate (also durchaus „wirkliche“ Geschehnisse) und Vorurteile sowie jahrhundertealtes Halbwissen verbinden. Der unintegrierbare Wilde weiterlesen

Der Kult der Gewalt und die Heuchler

Nein, es ist keiner „Radikalisierung aller Seiten“ am Trump-Attentat schuld. Sondern die Klimavergiftung & Gewaltverherrlichung der Rechtsextremisten.

Zackzack, Juli 2024

Das war nun also wirklich nicht Oarschknapp, sondern Ohrknapp. Ein Attentäter mit einem Präzisions-Sturmgewehr, wie man es in den USA an jeder Ecke zu kaufen bekommt, hat einen Anschlag auf den ehemaligen Präsidenten und nunmehrigen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump verübt. Präsident Joe Biden hat das Attentat verurteilt und das auch noch unfallfrei, man hatte ja schon Sorgen, er könnte den Anschlag auf „President Putin“ verdammen. Für Trump ist das zum Glück noch glimplich ausgegangen, nicht aber für einige seiner Anhänger – ein Toter, mehrere Schwerverletzte ist die Bilanz. Der Kult der Gewalt und die Heuchler weiterlesen

Die Peitsche spüren lassen

Zwischen Zippverschluss und Gewalt-Phantasien: bei der FPÖ dreht sich neuerdings alles um das weibliche Geschlecht.

Die FPÖ hat ihre Bundesliste für die Nationalratswahlen präsentiert. Sie würde sich als Besetzungsliste eines Splatter-Horror-Schockers noch besser machen: Herbert „Brüllmaus“ Kickl wird gefolgt von Susanne Fürst (die doch nicht die österreichische gegen die ungarische Staatsbürgerschaft ausgetauscht hat), danach kommen der schrullige Verschwörungstheoretiker Christian Hafenecker, die Fake-News-Märchentante Belakowitsch und Identitären-Verehrer Michael Schnedlitz. Schließlich, quasi als Draufgabe: Die neoliberale Extremistin Barbara Kolm, die strenge Lobbyistin für einen Brutalo-Kapitalismus, die dem Volk seine „Bequemlichkeit“ austreiben will und steigende Mieten und sinkende Löhne liebt. Die Peitsche spüren lassen weiterlesen

Studie zeigt: Kickl macht unglücklich

Wer Rechtsextremen in die Fänge gerät, dessen persönliche Lebenszufriedenheit nimmt rasant ab.

Zackzack, Juli 2024

In Deutschland haben Forscher des Wissenschaftszentrums Berlin in einer umfassenden Studie etwas herausgefunden, was man salopp so zusammen fassen kann: Rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien machen unglücklich. Und besonders unglücklich machen sie ihre eigenen Anhänger.

Wollen wir uns kurz etwas genauer der Studie widmen. Dass Wähler von rechten Parteien oder von Protestparteien „unglücklich“ sind oder ein eher negatives „persönliches Wohlbefinden“ äußern (also: sich mies fühlen) heißt ja noch lange nicht, dass diese Parteien sie unglücklich machen. Man könnte die Kausalität ja auch anders herum sehen: Weil die Menschen am politischen System frustriert sind, weil sie selbst beispielsweise in einer ökonomisch marginalisierten Situation sind, weil sie arm sind, weil sie unter Druck stehen, weil sie es nicht leicht im Leben haben – deswegen haben sie ein verständliches persönliches Unglücksempfinden. Und wegen all dieser Umstände wählen sie dann die Rechtsparteien. Dann wären diese Parteien der authentische Ausdruck einer berechtigten Unzufriedenheit. Daran wäre nichts problematisch. Im Gegenteil: Das wäre dann sogar wichtig für die Demokratie, dass Unzufriedenheit seine Artikulationsmöglichkeit findet. Parteien, welche immer, die mehrheitlich etwa die Verlierer der sozialen Wandels und die ökonomisch Unterprivilegierten sammeln, hätten logischerweise dann eine „unglücklichere“ Wählerschaft. Studie zeigt: Kickl macht unglücklich weiterlesen

Ein wilder Ritt: Die Wiener Prozesse

Die Wiener Prozesse: Eine Rückschau – und die Videos von allen drei Wochenenden auf einer Seite zum Nachsehen.

Es wird Ihnen wahrscheinlich aufgefallen sein: In den vergangenen Monaten habe ich diesen Blog sträflich vernachlässigt. Ich hoffe, Sie können es mir nachsehen. Es gibt nämlich einen guten Grund dafür: Ich war als Dramaturg der „Wiener Festwochen“ so richtig beschäftigt und eingespannt, quasi >24/7<, wie man heute glaub ich sagt.

Es war ein wilder Ritt. Unter der Regie von Intendant Milo Rau, gemeinsam mit einem kleinen dramaturgischen Team – Claus Philipp, Laura Widerhofer, Carmen Hornbostl – haben wir drei „Wiener Prozesse“ auf die Beine gestellt. Eine über die „Verwundete Gesellschaft – Covid 19 und die Folgen“, einen über die „Anschläge auf die Demokratie“ – über die FPÖ & Co., und einen über die „Heuchelei der Gutmeinenden“. Die Kritik bedachte uns mit Hymnen. Es werde einem in dieser Orgie des Zuhörens bewusst, „welche Arbeit Demokratie bedeutet“ (Nachtkritik). „Man kann jetzt schon sagen, dass dem neuen Intendanten mit den Wiener Prozessen ein Coup gelingen wird“, kommentierte der „Standard“ nach dem ersten Wochenende. „Dieses Reality-Format knallt dem Publikum die neuraligischen Themen der letzten Zeit noch einmal in aller Präzision vor den Latz.“ – „Das Spannendste, was Theater gerade zu bieten hat“ (Die Welt). – „Wortreiche Rechtspopulisten werden plötzlich ganz still, wenn sie in der direkten Konfrontation der Lebensgeschichte einer Geflüchteten gegenüberstehen.“ (taz). „Streitkultur beginnt beim Zuhören … Es hat sich gelohnt“ (Der Standard). „Dieses Theaterformat funktioniert, weil es Debatten von Gruppen ermöglicht, die einander sonst ausweichen“ (Die Presse). Ein wilder Ritt: Die Wiener Prozesse weiterlesen

Wider die politische Depression!

Warum es gerade jetzt packende Botschaften von „Hoffnung“ und „Wandel“ braucht.

Zackzack, Juni 2024

Nachdem ich die vergangenen Monate als Co-Dramaturg der „Wiener Prozesse“ bei den Wiener Festwochen wie ein Irrer gearbeitet habe – der dritte Prozess ging erst am Sonntag vor einer Woche zu Ende –, reiste ich nach Berlin, wo ich die Teilnahme am „Progressive Governance Summit“ zugesagt hatte. Erholung ist ja überschätzt, flüsterte mir der Sarkastiker in mir ins Ohr.

Dieser „Gipfel“ von progressiven Regierungsparteien wurde vor 25 Jahren von Bill Clinton, Tony Blair, Romano Prodi und anderen ins Leben gerufen, hat sich seither aber auch ein wenig gewandelt. Im Grunde ist es ein Netzwerk von sozialdemokratischen, progressiven, linksliberalen und auch akzentuierteren Linksparteien und Think-Tanks, eine wunderbare Tauschzentrale von Information und Wissen. Diesmal waren Olaf Scholz, Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt, die schwedische Ex-Außenministerin Anne Linde da, Funktionäre der Labour Party (die demnächst einen großen Wahlsieg feiern wird), hohe Parteimanager der US-Demokraten, der Präsident des „Center for American Progress“, die dänischen Links-Grünen, die dort bei den Europa-Wahlen die rechtsgedrehten Sozialdemokraten auf die Plätze verwiesen haben, Wahlkampf-Planer von Justin Trudeaus kanadischen Liberalen und viele andere mehr. Wider die politische Depression! weiterlesen

Das Wissen der Beherrschten

Haben Ausgegrenzte einen „kognitiven Vorteil“ gegenüber Privilegierten? Ja, sagt Daniel Loick.

Falter, Juni 2024

„Brav gearbeitet, wackerer Maulwurf“, heißt es in Hegels „Geschichte der Philosophie“, was Karl Marx später im Aufruf „Gut gewühlt, alter Maulwurf“ aufgriff, weshalb das Wühltier bei linken Gruppen als Comic-Figur so beliebt ist. Nicht die Hochwohlgeboren, die Helden, nicht die Fabrikanten und auch nicht die Privilegierten sorgen für den Fortschritt in der Geschichte, sondern die Unten – die, die die Wühlarbeit vollbringen. Das Wissen der Beherrschten weiterlesen